125 Jahre Evangelische Erlöserkirche in Jerusalem: »Die Kirche«, Berlin, hat Propst Lenz um einen Artikel dazu gebeten.
Die Geburtstagsfeierlichkeiten fallen wegen Terror und Krieg aus. Wie sieht es nun aus? Was tut die Evangelische Gemeinde jetzt und sonst?
Am Reformationstag 2023 ist es 125 Jahre her, dass Kaiser Wilhelm II. mit Kaiserin Auguste Viktoria im Heiligen Land war, um die mit preußischem Geld gebaute Erlöserkirche mitten in der Altstadt von Jerusalem einzuweihen. Als preußischer König war er auch oberster Bischof der Landeskirchen Preußen und trat dabei als weltliches und kirchliches Oberhaupt auf. Er ließ die Erlöserkirche mit weiteren Häusern bauen, sammelte anschließend beim deutschen Adel Geld für eine weitere Kirche auf dem Ölberg und gab den im Heiligen Land lebenden Deutschen damit ihre zentrale Anlaufstelle. Ein solcher Geburtstag will gefeiert werden!
Die große rote Geburtstagsschleife für den Kirchturm war schon geordert. Sie ist vor einigen Wochen vom Dom zu Lübeck abgenommen worden, dort waren 850 Jahre gefeiert worden. Die dortige Gemeinde hatte gesagt, dass die Schleife dann doch nach Jerusalem geschickt werden solle. In der Altstadt von Jerusalem gibt es bei großartigen Bauwerken, Farben, Stimmen, Gerüchen und Klängen oft auch eine unterschwellige Spannung; der Nahostkonflikt hat hier ja in gewisser Weise seinen Mittelpunkt. Vieles andere, was hier an Gebäuden hängt, ist politisch oder religiös aufgeladen und abgrenzend. Ein unverfänglich fröhlicher, zum Lächeln und Mitfreuen einladender Hingucker schien uns da eine guteForm zu sein, Geburtstag zu feiern. Gottesdienste, Konzerte, Vorträge und Mahlzeiten sollten dann das Festprogramm im Oktober ausmachen.
Die Terrorattacke der Hamas am 7. Oktober und der dann ausbrechende Gazakrieg haben alle Planungen zunichte gemacht. Die meisten Deutschen sind nach Kriegbeginn aus Israel und Palästina ausgereist, niemand kann derzeit sagen, wie es hier weitergeht. Die Chöre und Festredner können erst gar nicht hierher kommen. Die Gemeinde lebt aber jetzt wie auch sonst in besonderer Weise von denen, die zu uns kommen. Ohne sie geht nicht viel. Die Evangelische Gemeinde deutscher Sprache zu Jerusalem, so ihr ganzer Name, ist in besonderer Weise als Kirche für andere und in gewisser Weise als Kirche von anderen gedacht.
Die Gemeinde ist von Anfang an nicht primär als Gemeinde für sich selber, also als Gemeinde für die Menschen vor Ort gedacht gewesen; Reisende und Pilgergruppen, aber auch irgendwo im Orient lebende Menschen waren schon bei Gründung der Gemeinde und dem Bau der Kirchen im Blick. Gemeindegruppen, Pilgerinnen und Touristen gehören zur Gemeinde, auch wenn diese Menschen sich nicht in die Gemeindeliste eintragen. Die EKD ermöglicht die Arbeit in Jerusalem, so können wir als Anlaufstelle für Deutsche und Andere dienen. Und die Menschen kommen zu uns, in die Altstadt oder auf den Ölberg, zu Gottesdiensten oder Mittagsandachten, zu Konzerten oder einem Abendessen vor der Himmelfahrtkirche.
Davon profitieren wir sehr! Unsere Kantorei wird jeden Herbst neu gebildet, ohne die für ein Jahr Studierenden an der Dormitio oder der Hebräischen Universität wäre sie nur halb so sangeskräftig. Für dieses Jahre waren 63 Konzerte geplant, die überwiegende Mehrzahl davon durch Orchester, Chöre oder Gruppen, die aus dem Ausland in Jerusalem zu Besuch sind und uns mit ihrer hochklassiger Kultur beschenken. Gemeindegruppen kommen in unseren Sonntagsgottesdienst und helfen kräftig beim Singen und Beten, das tut Gästen wie Ansässigen gut. Unsere Erlöserkirche ist keine hundert Meter von der Grabeskirche/Auferstehungskirche entfernt, dem Ort also von Kreuzigung und Auferstehung; das ist es im wahrsten Sinn des Wortes naheliegend, Gottes Wort zu hören und zu bedenken und zu feiern. Das geht am besten gemeinsam.
Die „permanente Gemeinde“, der Gemeindekern, besteht aus nicht einmal hundert Personen, von denen die meisten in Jerusalem oder Amman leben. (In Amman gibt es eine Zweigstelle unserer Gemeinde mit monatlichen Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen.) Sie tragen das Ganze, sind mit dem Pfarrteam in der Planung und Durchführung aller Angebote engagiert. Viele bei den Botschaften, Stiftungen und NGOs arbeitende Menschen halten sich, auch mit ihren Familien, zu uns. Das geht über Gottesdienste und Hochkultur weit hinaus: Wenn wir zum Martinstag gemeinsam Laternen basteln und dann – rabimmel, rabammel, rabumm! – mit einen Laternenzug durch die Altstadt haben, ergibt das eine so seltsame wie wunderbare Mischung aus heimatlicher Tradition und orientalischer Umwelt. Denn die leuchtende Kuppel des Felsendoms bildet den Hintergrund unseres Zuges und anschließend gibt es im Kreuzgang der Propstei für Groß und Klein Kartoffelsalat mit Würstchen. Anderes Beispiel: Nach unserer festlichen Christmette gibt es vor der Kirche Glühwein, dann gehen immer über 200 Menschen durch die Heilige Nacht nach Bethlehem und haben dort gegen 3 Uhr morgens eine Andacht in der Geburtskirche.
Die Erlöserkirche beherbergt die arabisch- und die deutschsprachige Gemeinde. Dazu kommen die Gottesdienste der englischsprachigen und der dänischen Gemeinden. Die koreanische Gemeinde kommt samstags in unserer zweiten großen Kirche, der Himmelfahrtkirche auf dem Ölberg, zu ihren Gottesdiensten zusammen. Gemeinsam feiern wir internationale Gottesdienste in arabischer, englischer und deutscher Sprache, zum Beispiel am Gründonnerstag, wenn wir nach dem Gottesdienst in den Garten Gethsemane gehen; oder am Himmelfahrtstag in unserer Kirche auf dem Ölberg.
Ob wir die rote Schleife im kommenden Jahr doch noch am Turm anbringen? Vielleicht können wir einiges vom Jubiläumsprogramm in besseren Zeiten nachholen. Derzeit begleitet uns die Domkirchengemeinde zu Lübeck besonders mit ihren Gebeten um Frieden. Allen, die das tun, ein herzliches Dankeschön – wir haben es nötig. Die Pröpste von Jerusalem tragen ein silbernes Amtskreuz, auf dessen Rückseite eine Bibelstelle eingraviert ist: Psalm 122,6. Dort steht: „Wünschet Jerusalem Frieden! Pray for the peace of Jerusalem! Es möge wohlgehen denen, die dich lieben! Es möge Friede sein in deinen Mauern und Glück in deinen Palästen!“
Es gibt gegenwärtig ungeheuer viel Elend, Verbitterung, Hass und Hoffnungslosigkeit im Heilige Land. Aber wir bleiben dankbar für unsere Präsenz hier. Psalm 122,6 gilt jetzt erst recht! Als Deutsche waren wir hier nie in der Rolle von Kolonialherren. Deutsche haben im 19. Jahrhundert Schulen gebaut, der Bevölkerung des Landes geholfen und sich Ansehen bei allen Volks- und Religionsgruppen erworben. Arabischen Familien, die diese Schulen nutzten und sich dann an die evangelische Gemeinde hielten, bildeten im Jahr 1959 eine eigene Kirche, die Evangelisch-lutherische Kirche in Jordanien und dem Heiligen Land (ELCJHL). Sie ist unsere Schwesterkirche. Wir sind ihr und den anderen palästinensischen Kirchen ebenso verbunden wie dem Judentum und dem Existenzrecht Israels. Das ist oft schwierig. In diesen Tagen klagen und beten wir für Israelis und Palästinenser, für jüdische und christliche und muslimische Menschen gleichermaßen. Als Deutsche und als Evangelische haben wir keine politischen Antworten, aber wir haben unsere Gebete und wollen die Hoffnung hochhalten.
Hoffnung? Wir sind dazu hier, um in der Erlöserkirche und auch sonst vom Erlöser der Welt zu erzählen. Wenn da ein Erlöser ist, gibt es Erlösung. Jesus ist als Friedefürst in unsere Stadt Jerusalem gekommen – und wenn da ein Friedefürst ist, gibt es auch Frieden.Erlösung und Frieden sind uns Menschen verheißen, sie haben ihren Grund bei Gott und sind Wirklichkeiten: daran wollen wir mit unserer Gegenwart, unserem Tun hier, erinnern. Das Hochhalten dieser Frohen Botschaft ist bei all dem Hass und der Müdigkeit im Heiligen Land mühsam, aber genau dazu sind wir hier. Wünschet Jerusalem Frieden!