Abendmahl feiern – in schwierigen Zeiten

Ein Seelsorge Ratschlag von Rainer Stuhlmann

Zur Zeit können wir nicht Abendmahl feiern. Das Besondere gegenüber der Predigt ist ja, dass wir im Mahl das Wort Gottes fühlen, schmecken, sehen und riechen können. Und Abendmahl kann niemand für sich allein feiern. Wir brauchen mindestens einen Menschen, der uns das Brot und den Kelch reicht, weil so das Wichtigste beim Abendmahl sichtbar wird: Wir sind Empfangende. Wir werden bewirtet. Selbstbedienung ist ausgeschlossen.

Das ist in Zeiten der Pandemie nicht möglich. Wir haben solche Zeiten noch nicht erlebt. Aber es ist nicht das erste Mal, dass es Christinnen und Christen für eine – manchmal lange – Zeit nicht möglich ist, Abendmahl zu feiern. In Zeiten von Pest und Cholera, von Verfolgung und Krieg konnten Gemeinden nicht zusammen kommen. Manchmal mussten einzelne Christenmenschen lange Zeit ohne andere leben (z.B. in einem Gefängnis), so dass schon deshalb Mahlfeiern nicht möglich waren. Sie alle mussten auf die Gegenwart Christi im Mahl verzichten. Von ihnen können wir lernen.

1. Der Nutzen „eucharistischen Fastens“
Die Gegenwart Christi erfahren wir nicht nur im Mahl. Auch wenn wir Christus, das Wort Gottes, nur mit einem unserer fünf Sinne empfangen, fehlt ihm dabei nichts, ist es das ganze Wort Gottes, sei es, dass wir es mit unseren Ohren hören in Predigt oder persönlichem Zuspruch, sei es, dass wir es mit unseren Augen lesen in der Bibel und ihren Auslegungen. Deshalb versorgen wir Euch in diesem Tagen mit unseren Gottesdiensten und täglichen Andachten, damit Ihr wenigstens darin keinen Mangel leidet und auf diese Weise auch Eure Gemeinde, mit der Ihr verbunden seid, wahrnehmen könnt.

Das Abendmahl können wir Euch nicht bringen und auch keinen Ersatz dafür. Dieser Mangel muss also ausgehalten werden. Und das hat auch sein Gutes. Das kennen wir schon aus unserem Alltag. Etwas, das wir entbehren, das auf sich warten lässt, wird uns je länger desto kostbarer. Es entsteht Sehnsucht. Und Sehnsucht ist eine Kraft. Sie hat Sogwirkung wie ein Vakuum. Und damit bewirkt die Entbehrung des Abendmahls paradoxerweise das Gleiche wie die Feier des Abendmahls, nämlich Sehnsucht.

Das Besondere an diesem Mahl ist ja gerade das, dass es nicht satt macht. Nur ein Bissen Brot, nur einen Schluck aus dem Kelch machen nicht satt, sondern bringen auf den Geschmack, regen den Appetit an, machen Hunger nach mehr. Dieses Mahl bringt uns nicht ins Gelobte Land, sondern gibt uns Kraft und Mut für die nächste Etappe durch die Wüste. Das Mahl des Herrn ist ein Vorgeschmack auf das, was kommt, auf den, der kommt, ein Vorgeschmack auf die Welt, wie sie sein soll, die keine Entbehrung mehr kennt. Und darum verträgt die Praxis des Abendmahls auch eine Zeit der Entbehrung, des Mangels, des Fastens, des „Eucharistischen Fastens“. Ich bin gewiss, wir werden später auf die Zeit der Abendmahlsaskese („Karfreitag, Ostern 2020 ohne Abendmahl!“) dankbar zurück blicken, weil sie uns das Mahl des Herrn neu schätzen lehrt. Das ist das eine, was wir von denen lernen, die schon Erfahrung mit der Entbehrung des Abendmahls haben.

2. Häusliche Abendmahlsfeiern als Ausnahme
Das andere betrifft die, die nicht wie ich und viele andere allein in der Kontaktsperre leben müssen, sondern die das Glück haben, zu zweit oder zu mehreren zusammen leben, einander berühren und umarmen dürfen, und eben auch zusammen essen dürfen. Sie haben mindestens einen Menschen, der sie bewirten, ihnen also auch das Abendmahl reichen kann. Sie können eine häusliche Abendmahlsfeier halten. Die Gewissheit, dass Christus sich uns in diesem Mahl schenkt, ist nicht daran gebunden, dass eine ordinierte Person die Feier leitet. Wie in Notsituationen jeder Christenmensch taufen darf, so darf Christ oder Christin in Notsituationen auch eine Abendmahlsfeier leiten. Das evangelische Verständnis des Abendmahls erlaubt das ausdrücklich. Ich erinnere mich an Erzählungen von Abendmahlsfeiern ohne Pastor im Schützengraben. Sie haben mich als Kind sehr angerührt, ohne zu ahnen, dass auch wir einmal in solche Notsituationen geraten könnten.

Vielleicht ist das zu Ostern (oder Karfreitag) ein kleines Geschenk für Euch in trüber Zeit. Ein Vorschlag für eine Liturgie ist angehängt, an der Ihr Euch orientieren könnt. Die Worte, mit denen Jesus das Abendmahl eingesetzt hat, sind unsere Verbindung zur apostolischen Tradition.

Diesen Hinweis verbinde ich mit einem Ratschlag. Macht nur einmal (oder nur ganz selten) von dieser Möglichkeit Gebrauch, sonst verderbt Ihr den Charakter eines einmaligen und wertvollen Geschenks. Vermeidet, dass die Möglichkeit einer häuslichen Abendmahlsfeier Euch so gut gefällt, dass Ihr aus der Ausnahme eine Regel macht, auch wenn die Zeit, in der die Kirchengebäude geschlossen sind, noch länger dauern wird. Eine häusliche Abendmahlsfeier ohne eine ordinierte Person und die anderen Gemeindeglieder darf seinen Charakter als Provisorium nicht verlieren. Sie ist ein Zelt, solange das Haus zerstört ist. Die häusliche Feier sollte die Sehnsucht verstärken nach den anderen, nach der Gemeinde, nach Mahlfeiern, in denen wir uns wieder gemeinsam begegnen können.

3. Auswirkungen auf die Ökumene?
Im Blick auf die christliche Ökumene ist eine Nachbemerkung nötig. An dieser Praxis wird deutlich, wie sich das evangelische Abendmahlsverständnis vom katholischen (und orthodoxen) Verständnis unterscheidet, nämlich an der „Frage nach dem Amt“. Nach dem Verständnis anderer Kirchen darf die Feier nur einer leiten, der dazu „geweiht“ ist, d.h. in „Apostolischer Sukzession“ steht, der also dieses Amt durch Handauflegung von jemandem verliehen bekommen hat, der seinerseits so geweiht wurde.

Für uns Evangelische ist die Verbindung zur Apostolischen Tradition durch das biblische Wort gegeben. Aber auch in unserer Kirche darf nicht jeder die Feier leiten, sondern nur Ordinierte. Denn uns ist wichtig, dass die Gegenwart Christi nur empfangen und nicht selbst hergestellt werden kann. Ordination ist keine Priesterweihe, sondern eine Beauftragung durch die Kirche, mit der sicher gestellt wird, dass es für den „Dienst am Wort“ ein ständiges institutionalisiertes, weil unverzichtbares Gegenüber gibt. Der Dienst der Ordinierten beauftragt sie, die Rolle dieses Gegenübers zu übernehmen – durch Zuspruch der Vergebung, Öffentliche Verkündigung, Taufe und Leitung der Mahlfeier. Deshalb ist eine Mahlfeier ohne Ordinierte zwar möglich, aber nur als Ausnahme in einer Notsituation. Diejenigen, die in diesen Zeiten während der kommenden Feiertage sich und die Ihren in einer solchen Notsituation sehen, die ermutige ich zu einer häuslichen Abendmahlfeier.

Die Notlage führt auch katholische Priester zu einer Ausnahmesituation bei der Mahlfeier. Sie feiern zur Zeit die „Messe ohne Gemeinde“, bei der sie alleine kommunizieren (abgesehen von klösterlichen Gemeinschaften). Das ist im Internet in diesen Tagen oft zu sehen. Eigentlich ist diese Praxis in der Römisch-katholischen Kirche seit dem letzten Konzil abgeschafft. Aber die Not fordert auch in dieser Kirche Ausnahmen von der Regel. Und es ist klar, wenn die Krise überwunden ist, wird diese Praxis wieder aufgegeben. Und „Eucharistische Gastfreundschaft“ wird durch ein unterschiedliches Verständnis und eine unterschiedliche Praxis des Abendmahls nicht beeinträchtigt oder gar verhindert. Gastfreundschaft achtet die Regeln der anderen, ohne sie sich anzueignen.

Jerusalem am 6. April 2020